Lesestoff


Festival-Feeling zum Lesen

"Von Musikern, Machern und Mobiltoiletten" - Wie funktioniert ein Festival? Wie waren die ersten Open Airs? Ein Buch beleuchtet die deutsche Festivallandschaft.

Jeden Sommer steigen bis zu 400 Open-Air-Festivals in Deutschland. "Kein Land der Welt", schreibt das Musikmagazin "Intro", "besitzt ein vergleichbares Pro-Kopf-Angebot an musikalischen Großveranstaltungen." Veröffentlichungen über einzelne Events sind da keine Seltenheit. Mit VON MUSIKERN, MACHERN UND MOBILTOILETTEN ist vor einigen Jahren erstmals ein Buch erschienen, das die deutsche Festival-Szene umfassend beleuchtet.

 

 Herausgeber FOLKERT KOOPMANS, Veranstalter unter anderem von "Southside", "Chiemsee Summer" und "Hurricane", und Autorin KATJA WITTENSTEIN wagen sich an einen Rückblick auf fast 40 Jahre Open Air-Geschichte, unterstreichen aber auch die aktuelle Festivalkultur in Deutschland, die sich mit Reggae, Gothic, Metal, Indie, Elektronik-Pop und Weltmusik ziemlich vielseitig zeigt.


  Wie funktioniert eigentlich ein Festival? Wer vermittelt die Bands? Wieso sind die Tickets inzwischen so teuer? Die Leser lernen Zusammenhänge kennen und erfahren einiges über die
Arbeit und den Stress hinter den Kulissen. Schlüssig wird dargelegt, wie ab Mitte der 80er-Jahre der Open-Air-Betrieb in Serie ging. Wichtige Protestfestivals wie "Rock gegen Rechts", "Künstler für den Frieden", das legendäre Wackersdorfer "Anti WAAhnsinns-Festival"
werden ebenfalls abgehandelt.

  Die Geschichte der Open Airs wird gut aufgearbeitet. Dass dies hauptsächlich aus Veranstaltersicht geschieht und nur wenige Besucher zitiert werden, stört angesichts der vielen kleinen lesenswerten Anekdoten nicht. Schnell stellt man fest, dass die
Anfänge von Naivität und Unerfahrenheit geprägt waren, aber auch von Enthusiasmus und Improvisationsreichtum, sowohl von Seiten der Veranstalter als auch der Besucher. Man stößt auf Geschichten von waghalsigen Unternehmungen einiger unverbesserlicher Optimisten, denen, entgegen aller Gesetze des Konzertmarktes,
spektakuläre Open Air-Coups gelangen. So holten die bis dato unbedarften Festivalveranstalter JOHANNES WESSELS und HUBERT STEINERT im Jahr 1982 FRANK ZAPPA exklusiv ins niedersächsische
12 000-Seelen-Provinzstädtchen Schüttdorf. Nachdem sie
der zuständige deutsche Künstleragent abblitzen ließ, fuhren die beiden einfach mit dem Zug nach London und buchten die amerikanische Rocklegende direkt.

Zum bislang größten Open Air Deutschlands geriet 1972 das "2. British Rock Meeting" auf der Insel Grün in Germersheim. Weit mehr als 50 000 Besucher wollten beim deutschen "Woodstock" Pink Floyd und andere Bands erleben. Foto: Jürgen Wagner
Zum bislang größten Open Air Deutschlands geriet 1972 das "2. British Rock Meeting" auf der Insel Grün in Germersheim. Weit mehr als 50 000 Besucher wollten beim deutschen "Woodstock" Pink Floyd und andere Bands erleben. Foto: Jürgen Wagner

 Mit 30 000 Besuchern wurde das Festival ein Riesenerfolg. Später spielten auf dem Schüttdorfer Acker sogar die ROLLING STONES. Doch das ist schon wieder eine andere der vielen kleinen Geschichten in diesem Buch.

 

 Eine weitere verrückte Randnotiz gefällig? Im Jahr 1997, beim ersten "Hurricane" in Scheeßel, stellte der dortige Bankdirektor um kurz vor Mitternacht spontan seine Limousine zur Verfügung, damit die australische Band INXS in einem Mercedes 500 zurück nach Hamburg ins Hotel gefahren werden konnte. Obwohl eine andere Limousine zur Verfügung stand, wollten die Musiker plötzlich nur noch in einen Daimler der gehobenen Luxusklasse steigen. Bei Tempo 250 trank Sänger MICHAEL HUTCHENCE kopfüber Wodka, was eine einstündige Innenreinigung zur Folge hatte. 2007 backte die Band (ohne Hutchence) als Opener beim holländischen "Arrow Rock Festival" wieder kleinere Brötchen. Sie mussten den Job des Openers übernehmen. Die Zeiten ändern sich eben auch für Rockstars. Ob der Bankdirektor je etwas vom Wodka-Experiment erfahren hat?

 

Woodstock im August 1969. 500.000 Besucher. Auftritte von Jimi Hendrix, Janis Joplin und Joe Cockers Urschrei. Drei Tage Frieden, Chaos und Musik. Hier begann der Festivalkult. Foto: Baron Wolman
Woodstock im August 1969. 500.000 Besucher. Auftritte von Jimi Hendrix, Janis Joplin und Joe Cockers Urschrei. Drei Tage Frieden, Chaos und Musik. Hier begann der Festivalkult. Foto: Baron Wolman

 Spontanität und Chaos gingen vor allem bei den ersten Open Airs oft einher. So durfte zu Anfangszeiten auch direkt vor der Bühne gezeltet werden, was JIMI HENDRIX ziemlich missfallen hat. Mit Erfolg verlangte er 1970 vor seinem Auftritt beim "Fehmarn Open Air" ein Zurücksetzen der kompletten Zeltstadt.

 

 Da sich, wie beim großen Vorbild "Woodstock", manches deutsche Blumenkind hüllenlos vor der Bühne sonnte, waren bald auch bei den hiesigen Festivals reichlich Zaungäste da. Kommentare wie „Ja mei, die san ja naggisch“ waren beispielsweise 1972 beim "Würzburger Open Air" zu hören. Dort rockten 12 000 Besucher mit JOE COCKER und weiteren Acts in friedlicher "Love & Peace"-Atmosphäre. Dem „organisierten Sittenverfall“ folgte prompt das Verbot einer Neuauflage.  Festival-Verbot im Freistaat, denn das bayerische Staatsministerium empfahl in einem Rundbrief allen Gemeinden des Freistaates, derartige Veranstaltungen nicht mehr zu genehmigen. Dennoch entwuchs die Open-Air-Szene gerade in jenen Jahren ihren Kinderschuhen.

 

 Beim "British Rock Meeting" in Germersheim traten 1972 Bands wie PINK FLOYD, THE KINKS, STATUS QUO, WISHBONE ASH, URIAH HEEP und CURVED AIR auf. Aus Amerika reisten zum bislang größten deutschen Open Air PACIFIC GAS & ELECTRIC und der BUDDY MILES EXPRESS an. Die genaue Besucherzahl konnte nicht ermittelt werden. Die Schätzungen gehen weit auseinander. Sie liegen zwischen 50.000 und 100.000 Besuchern.

 

 In den 80er-Jahren war die von England herüber geschwappte Festivalreihe "Monsters Of Rock" in der Metal- und Hardrock-Szene das Maß aller Dinge. AC/DC, METALLICA, VAN HALEN, KISS, BON JOVI und IRON MAIDEN ließen es von 1983 bis 1988 in Deutschlands Stadien ordentlich krachen.  

 

 Natürlich wird auch Herausgeber FOLKERT KOOPMANS ein ausführliches Kapitel eingeräumt. Er veranstaltet inzwischen die meisten Open Airs in Europa, in Deutschland hat seine Firma "FKP Scorpio" unter anderem das "Hurricane", "Southside", "M’era Luna" und "Highfield" aufgebaut. Beim "Chiemsee Summer", dem Schweizer "Greenfield Festival" und weiteren Open Airs ist er mitverantwortlich.
Von seinen ersten Gehversuchen beim kleinen ostfriesischen „Halbemond-Festival“ bis zu MARILY MANSONS Ausraster beim ersten "Southside" in München hatte auch der Hamburger Festivalmacher einiges zustemmen – und kann daher so manches erzählen.

Folkert Koopmans und Katja Wittenstein: Von Musikern, Machern & Mobiltoiletten - 40 Jahre Open Air Geschichte. FKP Scorpio, Hardcover, 168 Seiten, ISBN: 978-3-00021738-8, € 19,90

 

Miche Hepp