Zeitreise


Das Castle Rock-Debakel

Wie Saxon und Uriah Heep im Sigmaringer Festival-Chaos strandeten

Es hätte das bislang größte Sigmaringer Rock-Event werden sollen. Vom 30. September bis zum 2. Oktober 1994 war auf dem Festplatz neben der Stadthalle das 1. CASTLE ROCK FESTIVAL mit Größen wie URIAH HEEP, SAXON, SKEW SISKIN, Krokus-Sänger TANNER, dem amerikanischen Bluesmusiker JIM KAHR und rund 15 weiteren Bands angekündigt. Doch heraus kam das bis heute größte Rock-Desaster im Landkreis Sigmaringen.

 

Saxon im Jahr 1993: Das britische Heavy Metal-Urgestein um Frontmann Biff Byford (Bildmitte) hätte beim „Castle Rock Festival“ auftreten sollen. Foto: Promo
Saxon im Jahr 1993: Das britische Heavy Metal-Urgestein um Frontmann Biff Byford (Bildmitte) hätte beim „Castle Rock Festival“ auftreten sollen. Foto: Promo

 Organisiert wurde das dreitägige Zeltfestival vom „V. & V.-Service“ aus dem nahen Illmensee. Die blutjunge und unerfahrene Eventagentur wollte sich gleich bei ihrer ersten Veranstaltung mit einem richtigen Knüller in die Szene einführen. Ein Mix aus großen Namen der Hardrock-Szene und regionalen Bands sollte die Besucher in Scharen anlocken. Doch die Gemeindeverwaltung im heimischen Illmensee blieb angesichts der fehlenden Referenzen misstrauisch und lehnte die Konzertanfrage ab. Ein negativer Bescheid kam auch aus Aulendorf.

 

 In Sigmaringen jedoch stießen die Greenhorns auf offene Ohren. Großen Anteil daran hatte auch ein ortsansässiger Event-Sponsor, der den Veranstaltern manche Tür auf dem Weg zur Realisierung des Festivals öffnete. Die Zusage der Stadtverwaltung war aber mit einem Stolperstein verbunden. Dem CASTLE ROCK FESTIVAL wurde wegen der Nähe zur Innenstadt ab 22 Uhr ein Livemusik-Verbot auferlegt, weswegen die Macher gezwungen waren, ihr Programm am Festival-Freitag schon um die Mittagszeit zu starten. Ganz klar ein Handicap, da viele Interessierte schlichtweg noch bei der Arbeit waren. Dazu kam, dass „V. & V. Service“ im Vorfeld mit der Werbung für ein Festival in dieser Größenordnung total überfordert war. Plakate hatte man nur ganz sporadisch und erst einige Tage vorher geklebt. Außerdem wurde keine einzige Zeitung in der Region vorab mit Infos und Fotos bemustert, die Veranstalter hatten das schlichtweg vergessen.

 

Die Stockacher BB Band wurde als eine der wenigen Combos aus der Region für das "Castle Rock" verpflichtet. Foto: Promo
Die Stockacher BB Band wurde als eine der wenigen Combos aus der Region für das "Castle Rock" verpflichtet. Foto: Promo

 So kam was kommen musste, die hiesigen Rockfans wurden vom CASTLE ROCK FESTIVAL regelrecht überrascht oder sie erfuhren überhaupt nichts darüber. Als Folge spielten am Freitag alle Bands in einem leeren Zelt. Manuel Stocker von der B.B. BAND aus Stockach erinnert sich: „Die Anlage und das Bühnenlicht waren vom Feinsten, nur hatte es überhaupt keine Leute. Wir traten dennoch auf, auch, um noch die vereinbarte Gage zu bekommen.“ Am Freitagabend wurden beim Auftritt von Headliner SKEW SISKIN aus Berlin lediglich 20 Zahlende verzeichnet. Das waren weit weniger Besucher, als Ordner und Stagehands im Zelt waren. Blieb die Hoffnung auf die anderen beiden Tage mit den weitaus attraktiveren Zugpferden URIAH HEEP und SAXON. Doch der Negativtrend hielt auch am Samstag an. Mehr noch, das CASTLE ROCK FESTIVAL war bereits in Auflösung begriffen. Als sich bis 19 Uhr trotz des attraktiven Samstag-Headliners URIAH HEEP nur etwa 30 Besucher im mehr als 2000 Personen fassenden Großzelt verloren und die ortsansässige Brauerei bereits in aller Eile die Hähne von den Fässern schraubte, entschloss sich "Hänsel Concerts", das deutsche Tourneemanagement von URIAH HEEP und SAXON, beide Bands nicht auftreten zu lassen. An diesem Samstagabend kam erschwerend hinzu, dass 15 Kilometer weiter im Ennetacher "Adler" die amerikanische Southernrock-Band BLACKFOOT auftrat, wo sich knapp 450 Rockfans tummelten.

 

Die Band Uriah Heep Mitte der 90er-Jahre. Die Briten waren vor Ort, sind aber nicht auf die Bühne gegangen, als das Festival in Auflösung begriffen war. Foto: Promo
Die Band Uriah Heep Mitte der 90er-Jahre. Die Briten waren vor Ort, sind aber nicht auf die Bühne gegangen, als das Festival in Auflösung begriffen war. Foto: Promo

 Offizielle Begründung der Absage waren fehlende Teile der Tonanlage. Die Veranstalter konterten, das Management wolle lediglich nicht den Eindruck entstehen lassen, die Bands würden keine Leute mehr in die Konzerte locken. In den Tagen nach der Pleite räumte man bei „V. & V.-Service“ jedoch ein, man habe wegen „personeller Turbulenzen“ - zwei Leute setzten sich kurz vor dem Festival aus dem Team ab - die Auftrittsverträge der beiden britischen Bands nicht mehr richtig bearbeiten können. Auch SAXON hielt sich am Sonntag - dem vertraglich vereinbarten Auftrittstag - in Sigmaringen auf, obwohl das Festival längst abgeblasen war. Aus taktischen Gründen waren die Musiker vom Nürnberger Tourneebüro Hänsel vor Ort gelotst worden. Am Sonntagabend stand der Nightliner-Bus der britischen Metal-Band abgedunkelt auf dem Platz vor der Stadthalle. Angesichts des vorhersehbaren Rechtsstreits wollte man sicherstellen, dass von Seiten der Bands wirklich alle Vertragspunkte erfüllt waren.

 

 Am Ende führte das Abenteuer CASTLE ROCK für das inzwischen nur noch dreiköpfige Veranstalterteam in ein finanzielles Fiasko ohnegleichen. Kenner der Szene schätzten damals den finanziellen Verlust auf weit mehr als 100 000 Mark. Ihnen war schon im Vorfeld des Festivals klar, dass hier Anfänger Gefahr liefen, sich finanziell ins Unglück zu stürzen. Dass sie jedoch so schlimm zwischen die Mühlsteine des Veranstalter-Business’ geraten würden, damit hatte niemand gerechnet. Fakt ist aber auch, dass die Partner der fünf Illmenseer auch nicht gerade eine Sternstunde hatten. Das eventkundige Sponsorenumfeld vor Ort und die sehr erfahrene Tourneeagentur hätten das Schlimmste mit einer rechtzeitigen Intervention verhindern können, was nicht passierte. So geriet das Festival, von dem ein Teil des Gewinns an die Aktion Sorgenkind gehen sollte, selbst zum Sorgenkind für alle Beteiligten. Für den „V. & V.-Service“ bedeutete das Sigmaringer Castle Rock-Debakel das schnelle Ende, der deutsche Agent von SAXON und URIAH HEEP kam mit einem blauen Auge davon.

 

Miche Hepp