Festival-Review


Raum, Licht und Klang

Das "Sanfte Töne Festival" in der Alten Kirche Rulfingen überzeugt einmal mehr mit tollen Live-Acts und kompetenter Umsetzung

Ein voller Erfolg war die vierte Ausgabe des SANFTE TÖNE FESTIVALS in der Alten Kirche Rulfingen. Diesmal wurden für die akustiklastige Livenacht die Bands BRTHR und LIFFEY LOOMS sowie die beiden oberschwäbischen Newcomer DIANA EZEREX und MICHEL STIRNER verpflichtet. Es sollte für alle Beteiligten ein besonderer Abend werden. Das nicht alltägliche Konzert-ambiente der Alten Kirche, verbunden mit einem sehr schönen Lichtdesign, dazu vier Live-Acts mit teils sehr fragiler Songkunst, das alles  resultierte in einer überaus stimmigen Gesamtkomposition aus Raum, Licht und Klang. Ein besonderes Erlebnis, das immer mehr Leute zu schätzen wissen. Obwohl kein echter Headliner auf der Bühne stand, war die "Alte Kirche" dieses Mal wieder fast ausverkauft. 

Von Newcomer Michel Stirner wird man noch einiges hören. In der Alten Kirche hatte er mit seiner sympathischen Art das Publikum gleich hinter sich gebracht.
Von Newcomer Michel Stirner wird man noch einiges hören. In der Alten Kirche hatte er mit seiner sympathischen Art das Publikum gleich hinter sich gebracht.

 Beim SANFTE TÖNE FESTIVAL ist von Seiten der Bands statt eines großen technischen Aufwands die Kreativität gefragt, mit kleinem Equipment etwas Besonderes zu bieten. Eine Reduktion, die das Essenzielle der Musik stärker in den Focus rücken soll, und auch diesmal ist dieser Ansatz voll und ganz gelungen. Die Musikerinnen und Musiker genossen eine konzertante Atmosphäre, die sie sonst nicht oft antreffen. So wurden in der Alten Kirche auch sehr ruhige Stücke gespielt, die es bei den Kneipen-auftritten wegen des dort herrschenden Lärmpegels nicht auf die Setliste schaffen. Bisweilen herrschte zwischen den einzelnen Songs eine solch andächtige Stille, dass es manchen der Akteure vermutlich schon unheimlich war. "Ihr dürft ruhig atmen", munterte EENA MAY von LIFFEY LOOMS jedoch augenzwinkernd die Besucher auf.

 

 Eröffnet wurde das Festival von Singer/Songwriterin DIANA EZEREX, deren Set ich bis auf den letzten Song leider verpasst habe. Sie muss allerdings vom Publikum ins Herz geschlossen worden sein, denn bei diesem sangen alle gemeinsam mit der etwas an die große Tracy Chapman  erinnernden  Newcomerin aus Biberach. MICHEL STIRNER überraschte im Anschluss mit hochmelodischen Eigenkompositionen, die mit ihrem sonnigen Flair an Songs berühmter Kollegen wie Xavier Rudd, Passenger oder Ed Sheeran erinnerten. Der erst 19jährige Gitarrist und Sänger aus dem Raum Bad Waldsee arbeitete auf der Bühne mit einer Loop-Box, die ihn wie eine komplette Band klingen ließ und seinen Songs ordentlich Beine machte.

 

Akustik-Gitarre, Höfner-Bass, Mandoline und Glockenspiel. Multiinstrumentalistin und Sängerin Eena May tat viel für den facettenreichen Livesound des Ulmer Folkpop-Duos Liffey Looms.
Akustik-Gitarre, Höfner-Bass, Mandoline und Glockenspiel. Multiinstrumentalistin und Sängerin Eena May tat viel für den facettenreichen Livesound des Ulmer Folkpop-Duos Liffey Looms.

 Das Ulmer Duo LIFFEY LOOMS begeisterte mit glasklarem Klang, angenehm schlanken Songarrangements und einem gelungenen Griff in die Sixties-Kiste. Weitere Trademarks gefällig? Unbeschwert, enorm eingängig, aber auch sehr nachdenklich, wie bei der fragilen Ballade "Hold On". Sie handelt vom Bösen im Menschen, das nach Jahrhunderten von Kriegen, Hass und Gewalt auch heute noch gegenwärtig ist. EENA MAY und LÉON RUDOLF hatten aber auch sonnige Ohrschmeichler wie "Times We Had" oder "Betty" im Repertoire an eigenen Songs.

 

 Sie erinnerten dabei mit ihrem perfekten zweistimmigen Gesang nicht nur einmal an das legendäre US-Duo Simon & Garfunkel. Als Sahnehäubchen gab es eine spontane A Cappella-Version von "Amazing Grace" obendrauf. LIFFEY LOOMS spielt zwar "nur" tausendmal gehörten Folkpop, der die Jahrzehnte überdauert hat, doch bei so viel Charme und gutem Songmaterial ist das ein durchaus willkommener Anachronismus. Und man muss die Popmusik ja auch nicht jedes Mal neu erfinden.

Liffey Looms überzeugte mit zeitlos gutem Folk-Pop und perfektem zweistimmigen Gesang.
Liffey Looms überzeugte mit zeitlos gutem Folk-Pop und perfektem zweistimmigen Gesang.

 Zum Schluss boten BRTHR herrlich entschleunigten Gitarrensound, stilistisch verortet zwischen amerikanischer Roots-Musik und elegischem Indie-Folk. Die beiden Bandgründer PHILIPP EISSLER und JOSCHA BRETTSCHNEIDER platzierten zwischen sich - quasi als Rhythm' Section - die "Rhythm Ace Drum Machine". Ein Relikt aus den späten 60er-Jahren mit kultigem Ruf, denn niemand Geringerer als J.J. Cale hat die Drum-Maschine durch die Aufnahmen für sein 1971er-Albumdebüt "Naturally" in der Rockmusik salonfähig gemacht.

 

 Den beiden Stuttgartern geht zwar das bluesig groovende Flair des Schweigers von Tulsa ab, dafür ist ihr Repertoire durch den starken Folk-Einfluss von einer melancholischen Stimmung überlagert, die gut zur herbstlichen Jahreszeit passt. Obwohl Rhythm Ace bei ihren Ohrwurm-Balladen "Sun Goes Down", "Easy Child" und "Somewhere Else Tomorrow" gemächlich vor sich hin tuckerte, jagte wohl nicht nur mir ein wohliger Gänsehautschauer über den Rücken, was neben dem großartigen Songwriting vor allem an Philipp Eisslers unter die Haut gehenden Gesang und Joscha Brettschneiders inspiriertem Gitarrenspiel lag.

 

 

BRTHR war ein würdiger Abschluss des Festivals. Philipp Eissler (links) und Joscha Brettschneider kurbelten mit ihrer coolen Auslegung von Country, Rock und Folk auch kräftig das Kopfkino an.
BRTHR war ein würdiger Abschluss des Festivals. Philipp Eissler (links) und Joscha Brettschneider kurbelten mit ihrer coolen Auslegung von Country, Rock und Folk auch kräftig das Kopfkino an.

 Diese Musik wirkt wie ein großer, ruhiger Strom, in den man sich fallen und treiben lassen möchte. Ein weiterer Höhepunkt: "Rain And Snow", ein uraltes Folk-Traditional aus den Appalachen, dem BRTHR eine ebenso wehmütige wie abgründige Interpretation abringen, die geradezu prädestiniert wäre als Soundtrack für einen Film von David Lynch. Dagegen klang das J.J. Cale affine "22", wie alle hier erwähnten Songs vom bisher einzigen Album "Strange Nights", mit seinem leichten Country-Flair und flotten Beat schon richtig fröhlich. Ein  Schlusspunkt, der nicht nur wegen der Gitarren-Reverbs von Joscha Brettschneider lange nachhallt. Machen die beiden Stuttgarter in dieser Intensität weiter, wird man noch viel von Ihnen hören.   

 

 Einen großartigen Job beim SANFTE TÖNE FESTIVAL leistete übrigens auch diesmal wieder Festival-Mixer und Techniker JÜRGEN ROOS, der extra immer zu diesem Anlass anreist. Mit seinem exzellent abgemischten Sound hat er als "Lord Of The Boards" einen großen Anteil am Erfolg des "Sanfte Töne Festivals". Auch wurde mit dem exzellenten Bühnenlicht an diesem Abend neue Maßstäbe gesetzt.

Mitveranstalter JOJO SCHNEIDERHAN und JÜRGEN ROOS haben gezeigt, was in dieser Richtung geht,

wenn man etwas Geld in Licht- und Sound-Technik investiert.

Wer nicht da war und Appetit bekommen hat:

Die fünfte Ausgabe des SANFTE TÖNE FESTIVALS findet am 20. Oktober 2018 statt. Vormerken!

 


Text und Fotos: Miche Hepp

 

Zwei Tipps:

 

Auf zwei weitere Konzerte in der Alten Kirche Rulfingen möchte ich an dieser Stelle noch hinweisen.

 

Am 13. Januar wird das Berliner Szene-Urgestein LÜÜL mit seiner Band auftreten. Seine Konzerte

sind ein Erlebnis, vor allem wegen seiner Qualitäten als "Storyteller". Begleitet wird er von Musikern

der international bekannten Weltmusik-Band 17 Hippies, wo er ja auch selbst mitspielt.

 

 Legendäre Songs von Ton Steine Scherben sind am 10. März in der Alten Kirche zu hören.

Gespielt werden sie von den beiden Ur-Scherben KAI SICHTERMANN (Bass) und FUNKY GÖTZNER (Drums),

die mit Sänger und Gitarrist GYMMICK den idealen Interpreten für Rio Reisers emotionalen Gesang gefunden haben.