Im Rockjournalismus ist es wie im Fußball, Typen mit Ecken und Kanten findet man heutzutage so gut wie gar nicht mehr. Das Ruhrpott-Original Wolfgang Welt war ein besonderes Exemplar dieser leider aussterbenden Spezies im Musikgeschäft. Sein Lokalpatriotismus ging nicht soweit, schlechte Bands schönzuschreiben, und auch beim Sezieren der Platten bekannter Rock- und Popstars sparte der Bochumer Schallplattenverkäufer und Seiten-einsteiger ins Medien- und Musikbusiness nicht mit herber Kritik. Kurzum, Wolfgang Welt war einer, der sich positioniert hat. Vor einigen Wochen veröffentlichte Martin Willems mit "Kein Schlaf bis Hammersmith" eine Sammlung der Plattenkritiken und Musiktexte des im Sommer 2016 verstorbenen Seiteneinsteigers.
Aufgewachsen als Kind eines Bergarbeiters wurde Wolfgang Welt durch die Clique seines älteren Bruders schon früh mit Rock’n Roll und insbesondere dem Musiker Buddy Holly konfrontiert. Der im Jahr 1959 durch einen Flugzeugabsturz jäh aus dem Leben gerissene Chartsstürmer sollte Zeit seines Lebens sein Lieblingssänger bleiben. Dann kamen der Beat und die progressive Rockmusik der späten 60er-Jahre. Angefixt von guter Musik, schlug sich Wolfgang Welt nach seinem abgebrochenen Pädagogik-Studium zuerst als Schallplattenverkäufer bei der Ladenkette ELPI durch. Nach seinen Anfängen beim Ruhrpott-Szeneblatt "Marabo" als bestens informierter Rock- und Popjournalist, stand er schnell in Diensten der beiden größten deutschen Musikmagazine "Sounds" und "Musik-Express". Deutschlandweit bekannt wurde Wolfgang Welt auch durch sein Mitwirken bei der heute von Sammlern gesuchten Taschenbuchreihe "Rocksession", die vom Verlag Rowohlt herausgegeben wurde.
Was dieses Buch so lesenswert macht, ist diese schonungslose Ehrlichkeit, mit denen sich Wolfgang Welt seiner Texte angenommen hat. Ob Lob oder Tadel, die Kritiken waren stark von seinem subjektiven Empfinden gefärbt. War der Bochumer von einer Platte überzeugt, wurde sie abgefeiert, ohne Wenn und Aber. Doch Wolfgang Welt konnte auch bitterböse Albumkritiken schreiben. Egal ob Herbert Grönemeyer ("unter aller Sau"), Marius Müller-Westernhagen ("schmerzhaft langweilig"), Achim Reichel ("Mist"), Nina Hagen ("unerträglich kauderwelschend") oder Heinz Rudolf Kunze ("kann nicht singen"), alle bekamen ihr Fett weg. Welt schrieb direkt, schnörkellos, unverschämt und manchmal die Grenze zur Arroganz überschreitend. Eben "radikal subjektiv", wie der Herausgeber dieses Buches und Wolfgang Welt-Insider Martin Willems treffend bemerkt.
Auch damalige Lieblinge der Ruhrpott-Bandszene hatten nichts zu lachen, wie etwa Geier Sturzflug oder die damals populäre Dschungelband. Dem taffen Rock’n Roll der Conditors und dem urbanen New Wave-Pop von Konec hielt er dagegen die Stange. Diplomatie war nicht so sein Ding, was aus Sicht des Musikjournalisten zu einigen ziemlich schrägen Begebenheiten führte. Wolfgang Welt und Helen Schneider, ein großes Mißverständnis, wie sich bei einem Konzert der amerikanischen Rocksängerin und ihrer anschließenden Pressekonferenz herausstellen sollte, wo Wolfgang Welt angesichts schlecht gecoverter Titel mit der Bemerkung "You killed six of my favourity songs" aneckte und danach des Raumes verwiesen wurde. Köstlich nachzulesen ist auch sein befremdliches Zusammentreffen mit NDW-Star Hubert Kah, zu dem er extra aus dem Ruhrpott ins schwäbische Reutlingen fuhr.
Die Plattenfirmen schmissen damals noch mit Geld um sich, und Wolfgang Welt gerne zu den Stars geschickt, auch nach Paris, Amsterdam und London. Die damalige Plattenfirma von Motörhead lud
ausgerechnet den ausgewiesenen Buddy Holly-Fan und Liebhaber gepflegter Singer/Songwriter-Mucke zur England-Tour ihrer derbster Metalband ein. WoW sagte zu, nur um mal wieder auf die Insel zu
kommen. Freunde hatten ihn zwar bereits vor Antritt der Reise für tot erklärt, doch das Trio kam in Wolfgang Welts Tour-Reportage überraschend gut weg. "Eddie, Lemmy und Phil zwingen keinen zum
Mitsaufen. Sie sind sehr tolerant und privat ungewöhnlich zuvorkommend." Deren Musik hat ihm dennoch nicht gefallen, wie er nach dem Tourfinale im Londoner "Hammersmith" anmerkte. Wolfgang Welt
hatte eher ein Herz für kantige Rockstars wie etwa Kevin Coyne oder Alan Vega. Auch heute fast vergessene Singer/Songwriter wie Warren Zevon, Willie Nile und Steve Forbet fand er gut.
Natürlich hat das Bochumer Original oft mit seinen Prognosen falsch gelegen. Grönemeyer, Wolfgang Niedecken und Marius Müller Westernhagen sind längst etablierte Stars, andere von ihm hochgelobte Bands verschwanden schnell wieder von der Bildfläche. Es war eben Wolfgang Welts ebenso subjektive wie lakonische Sicht der Dinge, was den Lese-Spaß aber nicht geringer macht. Zumindest mir zauberten seine Auslassungen des Öfteren ein breites Grinsen ins Gesicht.
Ältere Semester, die schon in den frühen 80er-Jahren im Musikbiz herumschnupperten und Lust haben, nochmals in diese Zeit einzutauchen, dürften ihre helle Freude an diesem Buch haben. Der
Griff ins Plattenregal ist vorprogrammiert, vorausgesetzt man hat noch Scheiben von den B-52s, Timbuk 3, Martha & The Muffins, Thommie Bayer, The Fleshtones, Metro oder Nick Lowe zuhause
stehen. Eines hat Wolfgang Welt zumindest bei mir erreicht. Ich habe bei meinem Plattendealer Noge eine Vinylscheibe mit den 20 größten Hits von Buddy Holly gekauft. Darauf eine "Granate"
Wolfgang!
PS: Im März 1983 wurde bei Wolfgang Welt eine schizophrene Psychose
mit manisch-depressivem Einschlag diagnostiziert. Er schrieb weiter
und veröffentlichte 1986 seinen ersten Roman "Peggy Sue". Vom
Musikjournalismus zog er sich jedoch zurück. Am 19. Juni 2016 ist
Wolfgang Welt 63jährig in einem Hagener Krankenhaus verstorben.
PPS: Des öfteren bezeichnete Wolfgang Welt in seinen Texten
Bierdosen oder Bierflaschen als "Granaten".
"Kein Schlaf bis Hammersmith"
363 Seiten, Verlag Andreas Reiffer
ISBN 978-3-945715-81-9
Miche Hepp
Fotos: Heinrich-Heine-Institut, Nachlass Wolfgang Welt