Journalist und Buchautor CHRISTOPH WAGNER hat im Frühjahr nach jahrzehntelangen Recherchen sein Buch DER KLANG DER REVOLTE veröffentlicht. Auf 388 Seiten befasst er sich mit dem "westdeutschen Musik-Underground" der 60er- und frühen 70er-Jahre. Seine schon jetzt unverzichtbare Dokumentation hat der in England lebende Buchautor und Journalist mit mehr als 100 raren SW-Fotos aus jener Zeit illustriert. Herausgegeben wird das Buch übrigens vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg.
CHRISTOPH WAGNER stammt aus der Alb-Metropole Balingen. Dort war er Drummer in einer Band, veranstaltete selbst Konzerte und tauchte die aufblühende progressive Musikszene ein, weshalb sein Buch auch reichlich Lokalkolorit versprüht. Es war eine stockkonservative Zeit, damals im schwäbischen Hinterland. Man galt bereits als Kommunist, wenn man lange Haare hatte und für das eigene Städtchen ein Jugendhaus einforderte. Um jeden Zentimeter der Haarpracht wurde gekämpft, und zuhause musste man statt dem "Beat Club" Heinz Schenk und den "Blauen Bock" über sich ergehen lassen. Dennoch waren schon überall Zeichen der Veränderung zu erkennen. Regionale Bands waren zwar noch Mangelware, aber vor allem englische Formationen aus der zweiten und dritten Liga tourten ausgiebig durch die Provinz. Es gab aber auch essentielle Ereignisse, die aus dem Konzertalltag herausstachen. THE WHO in Ravensburg und Ulm, das Open Air-Fiasko 1970 in Konstanz, JIMI HENDRIX in Stuttgart - CHRISTOPH WAGNER hat die Details recherchiert und bietet neue Informationen.
Natürlich stand bei seiner Feldforschung nicht nur die süddeutsche Szene im Fokus. Im Kapitel "Vor Udo" beschreibt er, wie die deutsche Sprache in die Rockmusik kam, erinnert an im Rock-Mainstream längst vergessene Pioniere wie FLOH DE COLOGNE, IHRE KINDER, EULENSPYGEL oder CHECKPOINT CHARLIE. Spannend sind vor allem Wagners Ausführungen über die Anfänge der elektronischen Musik geraten. Der Leser inhaliert geradezu die von Experimentierfreude strotzende Stimmung jener Jahre. Es war die Zeit, als ein Moog-Synthesizer mehr kostete als ein Sportwagen. Es wurde an diversen Elektrogeräten geschraubt und gelötet was das Zeug hielt, nur um neue, bis dato ungehörte Soundfacetten zu realisieren. Es gibt Schlenker zum Free-Jazz, und auch auf die ersten deutschen Hallen-Festivals sowie Open Airs wird ein Blick geworfen. Landkommunen diverser Bands, Drogen im Untergrund, Subkultur in der Provinz - DER KLANG DER REVOLTE bietet vielfältige Einblicke in eine Zeit, in der trotz des oft reaktionären Umfeldes die Grenzen zugunsten größerer Freiheiten immer weiter ausgelotet wurden.
Vor allem für junge Menschen standen diese Jahre in vielerlei Hinsicht für einen Aufbruch - in gesellschaftlicher, politischer und natürlich auch musikalischer Hinsicht. CHRISTOPH
WAGNER gelingt es, mit seinen Musikreportagen den damaligen Zeitgeist treffend einzufangen. Wo andere Veröffentlichungen zu "den magischen Jahren des westdeutschen Musik-Underground"
oberflächlich bleiben, geht Wagner in die Tiefe. Er lässt den seinen Protagonisten viel Raum zum Erzählen, untermauert das Ganze mit seinen kompententen Recherchen und bringt die Thematik
kurzweilig rüber. Gute journalistische Arbeit, die man ja auch schon an seinen Artikeln und Radioreportagen zu verschiedenen Musik-Themen schätzt.
DER KLANG DER REVOLTE ist ein Buch, das eine Fortsetzung verdient hätte. Schließlich hat sich die damalige Musikszene weiterentwickelt. Formationen wie
KRAFTWERK, EMBRYO, GURU GURU, KRAAN oder CLUSTER stehen noch heute auf der Bühne.
Vielleicht erfährt man von CHRISTOPH WAGNER ja mal, wie manche der Bands aus dem linken Spektrum zur Karikatur ihrer selbst verkommen sind, und wieso andere sich Ende der
70er-Jahre musikalisch deutlich weiterentwickelt präsentierten. Wie äußerte sich die New Wave-Ära in der Szene der deutschen Elektroniker? Ach, da gäbe es noch so Vieles ........
Christoph Wagner: Der Klang der Revolte - Die magischen Jahre des westdeutschen Musik-Underground. Schott Music, 388 Seiten, ISBN-Nr. 978-37957-0842-9, € 27,50
Miche Hepp